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Der ‹bürolose› Chef - Ein Erfahrungsbericht 💡

Aktualisiert: 30. Sept. 2024

Ein CEO ohne eigenes Büro und ohne eigenen Arbeitsplatz

Im Sommer 2023 zügelten wir mit unserer Geschäftsstelle und den rund 120 Mitarbeitenden an einen anderen Standort. Dieses Selfie machte ich vor ziemlich genau einem Jahr. Kurz bevor wir die Räumlichkeit unserer alten Geschäftsstelle an die Immobilien-Verwaltung übergaben. Es gab zu dieser Zeit in der alten Geschäftsstelle noch einiges zu tun. Ich koordinierte die Renovierungsarbeiten vor Ort und kümmerte mich zusammen mit meinem Co-Projektleiter um die letzten Tasks im Projekt. Die alte Geschäftsstelle war komplett leer und der einzige verbleibende Sitzplatz war effektiv die Kloschüssel. Ein etwas unüblicher Arbeitsplatz, aber um ein paar Mails zu schreiben und das Projektboard zu bedienen, reichte es vollkommen. Ich sagte mir «...ich nehme halt den Arbeitsplatz, der grad verfügbar ist.» Dieser Satz ist gleichzeitig auch der eigentliche Kern der folgenden Geschichte.


Zu dieser Zeit war die gesamte Belegschaft bereits in der neuen Geschäftsstelle, wo alles eingerichtet war und funktionierte. Sie waren also safe und gut aufgehoben. Das war das Wichtigste und bekanntlich verlässt der Kapitän (in diesem Fall ich als CEO) das sinkende Schiff (in diesem Fall die alte Geschäftsstelle) zuletzt. Mit dem Umzug der Geschäftsstelle haben wir gleichzeitig ein neues Arbeitsplatzkonzept eingeführt. Es gab keine persönlichen Arbeitsplätze mehr. Auch für mich nicht. Mein Einzelbüro hatte ich zwar bereits vor einigen Jahren aufgegeben. Das war die reinste Platzverschwendung! Ich zog damals zu meiner CFO ins Büro. Dort hatte ich dann noch einen fixen Arbeitsplatz. Es war etwas eng zu zweit, aber es reichte gut zum Arbeiten. In meinem alten Büro konnten wir im Rahmen einer Ruhezone drei zusätzliche Arbeitsplätze für die Mitarbeitenden einrichten. So konnte die Fläche viel wertvoller genutzt werden. Als Geschäftsleiter bin ich auch viel unterwegs: an Meetings, bei Partnern oder an öffentlichen Auftritten. Ein befreundeter CEO hat mir mal gesagt, dass die Abkürzung CEO eigentlich «completely empty office» bedeutet und da ist was dran!


In der neuen Geschäftsstelle gehört nun jeder Arbeitsplatz allen und gleichzeitig niemandem. Alle setzen sich einfach dahin, wo es Platz hat. Auch ich! Wenn ich konzentriert arbeiten muss, kann ich mich in unsere Ruhezone setzen. Für vertrauliche Gespräche kann ich entsprechende Sitzungszimmer buchen oder mich in eine Room-in-Room-Box zurückziehen. Den Rest der Zeit verbringe ich an einem beliebigen Arbeitsplatz im Grossraumbüro. Wie alle anderen auch. Ich habe alles, was ich brauche. Nicht mehr und nicht weniger.


Welches Fazit ziehe ich nach einem Jahr?


Ich würde es nicht mehr anders wollen. Meinen eigenen Arbeitsplatz aufzugeben war die beste Entscheidung und hat meine Arbeitsumgebung und meine Rolle als Führungskraft positiv verändert. Ein riesiger Impact hat die osmotische Kommunikation. Ich nehme permanent wertvolle Informationen auf und kann Sachverhalte häufig schon lösen, bevor sie zu einem Problem werden. Zudem bin ich für die Mitarbeitenden sicht- und spürbarer. Ich habe heute auch jeden Tag wieder andere Kolleginnen und Kollegen um mich rum, was meinen Arbeitsalltag bereichert. Ich spüre, dass die Hemmschwelle, mich anzusprechen, deutlich gesunken ist. Ich pflegte zwar zuvor schon das open door Prinzip. Aber hey, seien wir ehrlich. Auch wenn die Türe offen ist, müssen die Mitarbeitenden immer noch in mein Büro reinkommen. Jetzt bin ich quasi in ihrem oder besser gesagt in unseremBüro. Der Unterschied mag zwar nur in einem Possessivpronomen liegen, aber die Wirkung ist eine ganz andere.


Ich habe den Themen Leadership und Führungskultur schon immer sehr viel Gewicht beigemessen und ich bin überzeugt, dass darin der grösste Hebel für ein positives und dadurch auch produktiveres Arbeitsklima liegt. Als Führungskräfte werden wir immer Vorbilder sein und die Mitarbeitenden wollen uns sehen und spüren und vor allem mit uns kommunizieren. Wenn wir das richtig einzusetzen wissen, kann auf dieser Basis eine unglaublich starke Unternehmenskultur wachsen, wodurch die Produktivität und das Engagement der Belegschaft nachhaltig steigt. Dafür gibt es ja auch genügend wissenschaftliche Grundlagen. Natürlich gibt es noch andere Faktoren, die dahingehend wirken. Aber für ein starkes Fundament sind diese Elemente unverzichtbar.


Ich kenne diverse CEO’s (auch von sehr grossen Organisationen), die kein eigenes Büro und zum Teil auch keinen eigenen Arbeitsplatz mehr haben. Die Feedbacks von ihnen sind bisher in den meisten Fällen positiv. Natürlich klingt es einfacher als es ist, den eigenen Arbeitsplatz aufzugeben und jeden Tag irgendwo im Grossraumbüro einzuchecken.


Es gibt eine Handvoll Herausforderungen, die ich nicht von der Hand weisen möchte!


  • Es braucht viel Flexibilität und eine hohe Genügsamkeit in Bezug auf den Arbeitsplatz. Möglichst papierlos unterwegs zu sein hilft zudem enorm. Für vertrauliche Gespräche muss man sich einen geeigneten Ort suchen.

  • Man muss sehr gut mit Unterbrechungen umgehen können. Dazu sollte man ein gutes Selbst- und Zeitmanagement haben und seinen persönlichen Zugang zum eigenen Flow State kennen und beherrschen.

  • Nahe bei den Mitarbeitenden zu sein ist wertvoll. Aber man muss dann auch die Bereitschaft haben, sich auf jegliche Formen von Dialog einzulassen. Jederzeit und unabhängig von der eigenen Gemütslage. Eine gute Ausgeglichenheit ist da von grossem Vorteil.

  • Die Mitarbeitenden mussten sich auch zuerst an den Umstand gewöhnen, dass der Chef nun mitten unter ihnen sitzt und arbeitet. Es kann sein, dass dies anfänglich noch als Kontrolle wahrgenommen wird. Nach meinem Gefühl gewöhnen sich die Mitarbeitenden aber rasch daran und erkennen die Vorteile.

  • Last but not least: Man erfährt zwischendurch auch Dinge über seine Belegschaft, die man eigentlich nicht wissen möchte. Und auch damit muss man umgehen können.


Aus meiner Sicht ist das alles gut machbar, sofern man bereit ist, die eigene Komfortzone zu verlassen. Und ich liebe es, nun einfach «den Arbeitsplatz zu nehmen, der noch verfügbar ist» und lasse mich überraschen, welche Kolleginnen und Kollegen an diesem Tag um mich herum sitzen. Ich darf aber auch erwähnen, dass ich seither immer einen vollwertigen Arbeitsplatz beziehen konnte. Ich musste seither nie wieder auf’s Klo, um meine Mails zu schreiben 😃


Bildquelle: Selfie

 
 
 

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© 2024 Manfred S. Hertach

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