Prokrastination (Aufschieberitis) - Ursachen und Folgen đ
- Many S. Hertach
- 30. Sept. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Okt. 2024

Wir kennen es bestimmt alle: Eine wichtige Aufgabe steht an, doch stattdessen lenken wir uns mit anderen Dingen ab â Social Media, Hausarbeit oder mit Freunden chatten. Manchmal erscheinen uns auch andere, einfachere Aufgaben verlockender und wir ziehen diese vor. Dieses Verhalten nennt man Prokrastination, im Volksmund auch als âčAufschieberitisâș bekannt . Das bewusste oder manchmal auch unbewusste Verschieben wichtiger Aufgaben. Obwohl es kurzfristig Erleichterung bringt, kann das langfristige und wiederkehrende Aufschieben ernste Folgen haben, wie etwa erhöhten Stress oder sogar die Gefahr eines Burnout erhöhen.
Was ist Prokrastination?
Prokrastination bedeutet nicht, faul zu sein, sondern es handelt sich um ein sogenanntes âčVermeidungsverhaltenâș. Sofortige kleine Belohnungen â wie Ablenkungen durch Unterhaltung â wirken attraktiver als langfristig wichtige Aufgaben. Ein Teufelskreis entsteht: Je mehr aufgeschoben wird, desto grösser wird der Druck, was zu noch mehr Aufschieben fĂŒhrt. Die Aufgabe wird im Kopf immer prĂ€senter, und die Sorge, nicht rechtzeitig fertig zu werden, wĂ€chst. Gleichzeitig wird weiterhin nach kurzfristigen Fluchtmöglichkeiten gesucht, was dazu fĂŒhren kann, dass der Bezug zur eigentlichen Aufgabe immer mehr verloren geht. Das wiederum fĂŒhrt dazu, dass die Aufgabe resp. der Einstieg in die Erledigung der Aufgabe nur noch schwieriger wird.
Prokrastination ist natĂŒrlich nicht mit einem gesunden PrioritĂ€ten- und Pendenzen-Management gleichzusetzen. Auch dort mĂŒssen Aufgaben manchmal âčaufgeschobenâș oder auf spĂ€ter terminiert werden, weil andere Aufgaben wichtiger oder dringender sind. Bei Prokrastination handelt es sich um das Vermeiden und Aufschieben von Aufgaben, die zu diesem Zeitpunkt gemacht werden sollten und auch gemacht werden könnten.
Warum werden Aufgaben aufgeschoben?
Verschiedene psychologische GrĂŒnde erklĂ€ren das Verhalten:
Angst vor Versagen: Menschen, die Angst haben, dass ihre Arbeit nicht gut genug ist, neigen dazu, Aufgaben aufzuschieben, um der Angst zu entkommen.
Perfektionismus: Perfektionisten verschieben oft Aufgaben, weil sie unter unrealistisch hohen Erwartungen stehen oder auf den âčperfektenâș Moment warten, der jedoch meistens nie kommt.
Fehlende Motivation: Besonders unangenehme oder langweilige Aufgaben werden gerne vertagt, da das Gehirn kurzfristige Belohnungen bevorzugt.
Ăberforderung: Wenn eine Aufgabe zu komplex erscheint, kann das dazu fĂŒhren, dass sie erst gar nicht erst in Angriff genommen wird.
Mangel an Selbstdisziplin: In einer Welt voller Ablenkungen, insbesondere durch das Internet, fÀllt es vielen schwer, die nötige Konzentration aufzubringen.
Â
Prokrastination und Burnout
Burnout ist ein Zustand emotionaler, körperlicher und mentaler Erschöpfung, der hĂ€ufig mit langfristigem Stress einhergeht. Chronische Prokrastination kann massgeblich zur Entstehung von Burnout beitragen. Studien zeigen, dass Menschen, die hĂ€ufig aufschieben, langfristig unter höherem Stress stehen. Eine Studie von Sirois (2014) fand heraus, dass Prokrastination nicht nur kurzfristig Stress verursacht, sondern auch zu chronischem Stress fĂŒhrt, was das Risiko fĂŒr Burnout erhöht. Prokrastination ist oft eine kurzfristige Lösung, um negative Emotionen wie Angst zu vermeiden, fĂŒhrt jedoch langfristig zu negativen Konsequenzen.
Â
Eine weitere Studie von Flett et al. (1995) zeigte, dass Prokrastinierer oft von SchuldgefĂŒhlen und SelbstvorwĂŒrfen geplagt sind, was die Motivation weiter senkt und das Risiko fĂŒr ein mögliches Burnout ebenfalls erhöht. Perfektionismus spielt hier eine grosse Rolle. Wer immer auf den perfekten Moment wartet, um mit einer Aufgabe zu beginnen, setzt sich unter enormen Druck, was nicht nur zu vermehrter Prokrastination, sondern auch zu emotionaler Erschöpfung fĂŒhren kann.
Â
Besonders gefÀhrdet: Studierende und Perfektionisten
Â
Studierende sind besonders anfĂ€llig fĂŒr Burnout in Verbindung mit Prokrastination. Der Druck, Deadlines fĂŒr PrĂŒfungen oder Arbeiten einzuhalten, und die stĂ€ndige Belastung können schnell zu Erschöpfung fĂŒhren. Eine Studie von Schraw et al. (2007) zeigte, dass Studierende, die hĂ€ufig prokrastinieren, nicht nur unter Stress leiden, sondern auch eine geringere Lebenszufriedenheit haben. Der Zusammenhang zwischen Prokrastination und Burnout ist auch bei Perfektionisten gut dokumentiert. Unrealistische Erwartungen und der Wunsch nach Perfektion fĂŒhren oft zu einem ungesunden Verhalten, das das Burnout-Risiko erheblich erhöht.
Â
Langfristige Auswirkungen der Prokrastination
Â
Prokrastination ist in einem gewissen Mass eine Schutzfunktion unseres Gehirns, indem sie uns vor Ăberforderung und Ăberlastung bewahrt. ĂbermĂ€ssige Prokrastination hingegen bringt viele negative Konsequenzen mit sich. Neben erhöhtem Stress und Burnout fĂŒhrt sie oft zu geringerer ProduktivitĂ€t, was das SelbstwertgefĂŒhl senken kann. Die stĂ€ndige Ablenkung und das Vermeiden von Aufgaben können dazu fĂŒhren, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, langfristige Ziele zu verfolgen oder sich ĂŒber Erfolge zu freuen.
Â
Strategien zur Ăberwindung von Prokrastination
Â
Die gute Nachricht: Prokrastination ist ĂŒberwindbar. Mit den richtigen Techniken und ein wenig Selbstdisziplin können Betroffene lernen, das Aufschieben zu vermeiden und produktiver zu arbeiten. Ein Coaching kann dabei unterstĂŒtzen, indem es den Prozess der Selbstreflexion fördert und dabei hilft, neue Gewohnheiten zu entwickeln.
Folgend habe ich zehn praxisnahe Tipps, die der Prokrastination entgegenwirken können đ Die Tipps lassen sich natĂŒrlich auch anwenden, wenn man nicht von Prokrastination betroffen ist. In diesem Fall können sie dabei helfen, die eigene ProduktivitĂ€t noch weiter zu steigern. Einige dieser Tipps werde ich in zukĂŒnftigen Blog beitrĂ€gen noch im Detail vorstellen.
Â
Die 5-Minuten-Regel: Beginne mit der Aufgabe fĂŒr nur fĂŒnf Minuten. Oft reicht dieser kleine Startschub, um weiterzumachen. Bist Du erstmal in der Aufgabe âčdrinâș, wird es immer einfacher.
Aufgaben in kleine Schritte zerlegen: Grosse Aufgaben können ĂŒberwĂ€ltigend wirken. Durch das Aufteilen in kleine, machbare Schritte wirkt die Arbeit weniger erdrĂŒckend. Der Einstieg in die Erledigung der Aufgabe kann so erleichtert werden.
Belohnungssysteme: Setze Dir nach Erledigung einer Aufgabe eine kleine Belohnung, um positive Assoziationen mit der Arbeit zu schaffen.
Perfektionismus loslassen: Perfektion ist selten erreichbar. DiesbezĂŒglich kann ein âčiterativesâș Vorgehen helfen. Es ist besser, einfach mal anzufangen und spĂ€ter Korrekturen oder Verbesserungen vorzunehmen, als eine Aufgabe immer weiter hinauszuschieben, weil man sie von Beginn an âčperfektâș abliefern möchte.
SelbstmitgefĂŒhl ĂŒben: Anstatt Dich selbst zu kritisieren, ĂŒbe SelbstmitgefĂŒhl, wenn Du einmal aufgeschoben hast. Verstehen, dass Prokrastination ein menschliches Verhalten ist, kann den inneren Druck reduzieren.
Zeitmanagement-Techniken anwenden: Eine bekannte und wirksame Zeitmanagement-Technik ist die Pomodoro-Technik. Du arbeitest fokussiert in 25-Minuten-Intervallen und machst danach eine 5-Minuten-Pause. Nach dem 4. Intervall machst Du eine lĂ€ngere Pause. Das hilft ĂŒber lĂ€ngere Zeit, konzentriert zu bleiben und verhindert, dass man sich ausgebrannt fĂŒhlt.
Eigenen Chronotyp kennen: Finde heraus, wann Du am produktivsten bist, und nutze diese Zeiten fĂŒr wichtige und anspruchsvolle Aufgaben. Bist Du eher eine âčLercheâș oder eine âčEuleâș?
PrioritÀten setzen: Ohne klare PrioritÀten neigen wir dazu, uns von weniger wichtigen Aufgaben ablenken zu lassen. Nutze eine strukturiertes Pendenzen-Management, um die wichtigsten PrioritÀten stets im Fokus zu behalten.
Verantwortung ĂŒbernehmen: Verantwortung ablegen, z.B. durch regelmĂ€ssige Rechenschaft bei einem Kollegen oder Coach. Das kann helfen, Aufgaben konsequent zu erledigen.
Langfristige Ziele visualisieren: Halte Dir z.B. anhand einer Skizze oder einer Mindmap vor Augen, wie das Erledigen einer Aufgabe zu Deinen langfristigen Zielen beitrÀgt, um Motivation zu gewinnen.
Â
Fazit
Â
Starke Prokrastination ist mehr als nur das Aufschieben von Aufgaben â sie kann langfristig ernste Konsequenzen fĂŒr die psychische Gesundheit haben. In stressigen Umgebungen, in denen hohe Anforderungen bestehen (z.B. als FĂŒhrungskraft), erhöht hĂ€ufiges Aufschieben das Risiko emotionaler Erschöpfung. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmĂ€ssig prokrastinieren, hĂ€ufiger unter Stress und SchuldgefĂŒhlen leiden â Faktoren, die das Risiko fĂŒr Burnout verstĂ€rken.
Â
Die gute Nachricht ist: Prokrastination lĂ€sst sich ĂŒberwinden. Indem man die Ursachen des Aufschiebens erkennt, klare PrioritĂ€ten setzt, Aufgaben in kleine Schritte zerlegt und effektive Zeitmanagement-Techniken anwendet, kann der Teufelskreis des Aufschiebens durchbrochen werden. Es erfordert Geduld und Disziplin, aber mit der richtigen Herangehensweise kann man nicht nur produktiver arbeiten, sondern auch die mentale Gesundheit schĂŒtzen.
Quellen:
Flett, G. L., Blankstein, K. R., & Martin, T. R. (1995). Procrastination, negative self-evaluation, and stress in depression and anxiety. Journal of Social Behavior & Personality, 10(2), 173-186.
Schraw, G., Wadkins, T., & Olafson, L. (2007). Doing the things we do: A grounded theory of academic procrastination. Journal of Educational Psychology, 99(1), 12-25. DOI: 10.1037/0022-0663.99.1.12
Sirois, F. M. (2014). Procrastination and stress: Exploring the role of self-compassion. Self and Identity, 13(2), 128-145. DOI: 10.1080/15298868.2013.763404
Stoeber, J., & Otto, K. (2006). Positive conceptions of perfectionism: Approaches, evidence, challenges. Personality and Social Psychology Review, 10(4), 295-319. DOI: 10.1207/s15327957pspr1004_2
Bildquelle:
Envato Elements
ăłăĄăłă