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Was Change Management mit dem Wertschriftenhandel zu tun hat 📈

Aktualisiert: 26. Okt.

Zu Beginn meiner Führungslaufbahn stand ich als junger Abteilungsleiter vor einer grösseren Umstrukturierung. Sowohl mein damaliges Team als auch das gesamte Unternehmen befanden sich im Umbruch. Für mein Team und unsere Abteilung waren die Aussichten auf die Veränderungen ausserordentlich gut. Es kristallisierten sich viele Chancen heraus, wir konnten als Team etliche Prozesse mitgestalten und wir bekamen neue Stellen gesprochen. Viele Teammitglieder warteten schon lange auf eine solche Veränderung. Mir war klar, dass Veränderungen zu Widerstand führen können. In diesem Falle war ich jedoch guten Mutes, denn wir hatten eine sehr turbulente Zeit hinter uns und es konnte eigentlich nur besser werden. So ging ich mehr oder weniger davon aus, dass die bevorstehenden Veränderungen ohne grosse Widerstände umzusetzen sind. Das dachte ich zumindest und es kam dann natürlich auch etwas anders als ich dachte. Es gab Widerstände, und zwar ziemlich grosse. Umstände, die man in der Vergangenheit bekämpfte, wollte man plötzlich so beibehalten. Alte Prozesse, über die man sich täglich beschwerte, sollten plötzlich besser sein als die neuen (ganz offensichtlich) viel sinnvolleren Prozesse. Und es gab sogar Stimmen, dass man doch eigentlich eine gute Teamgrösse hätte und keine neuen Kollegen bräuchte, obwohl zuvor fast täglich nach mehr Personalressourcen verlangt wurde. Nicht alle Teammitglieder wehrten sich gegen die Veränderung. Es gab eine Gruppe, die voll mitzog und es gab die andere Gruppe, die in den alten Strukturen gefangen schien. Auch in den vielen Gesprächen fand ich nicht so wirklich raus, warum sich einige Mitarbeitende gegen die Veränderung sträubten.


Die Zeit verging, die geplanten Projekte nahmen ihren Lauf und die Veränderungen wurden umgesetzt. Während dieser Phase war es alles andere als leicht, das Team zusammenzuhalten und die neuen Prozesse und Strukturen auch nachhaltig zu implementieren. Kurz gesagt, es war richtig anstrengend in dieser Zeit. Ich war froh um jene Teammitglieder, die den Change aktiv mittrugen und mich unterstützten. Und ich fühlte mich im etwas Stich gelassen durch jene Mitarbeitende, die sich immer wieder sträubten und sich gegen die Veränderungen wehrten. Seltsamerweise bestand die letztere Gruppe nicht mal unbedingt aus den Personen, bei denen ich Widerstand erwartet hätte. Und umgekehrt war ich positiv überrascht über die Offenheit und Veränderungsbereitschaft von Teammitgliedern, die ich ganz anders eingeschätzt hatte. Glücklicherweise fand das Team nach dem grossen Change auch wieder gut zusammen und es entstand kein Graben zwischen den Teammitgliedern. Aber das Ganze liess mich nicht los und ich wollte herausfinden, was ich anders hätte machen können, um den Veränderungsprozess etwas ‹geschmeidiger› zu gestalten.


Ich ging diesem Sachverhalt nach und stiess auf zwei Modelle, die meine Sichtweise auf Veränderungsprozesse massgeblich und nachhaltig beeinflussten. Die Rede ist von der Prospect Theory (Verlustaversion) und dem Bridges Transition Modell. Die beiden Modelle halfen mir dabei, das Verhalten meiner damaligen Mitarbeitenden besser zu verstehen. Und auch in weiteren Change Projekten griff ich immer wieder auf diese Erkenntnisse zurück. Es gibt viele Ursachen für Widerstände in Veränderungsprozessen. Die beiden Modelle decken natürlich nicht die ganze Bandbreite des Change Managements ab. Sie beinhalten aber einige wichtige Aspekte, die bei jeder Veränderung zu beachten sind und an denen man das eigene Führungsverhalten im Change ausrichten sollte. Die beiden Modelle haben zwar viele Gemeinsamkeiten, sind aber auf unterschiedliche Ansätze zurückzuführen. Während das eine Modell die Ängste erklärt, die beim Loslassen des ‹Alten› entstehen können, beschreibt das andere Modell die Herausforderungen beim Übergang vom ‹Alten› ins ‹Neue›.

 

Die Prospect Theory - Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach


Die Prospect Theory wurde von den Nobelpreisträgern Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt und 1979 vorgestellt. Sie beschreibt die Art und Weise, wie Menschen Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Eine ihrer Kernideen ist die Verlustaversion – die Tendenz, Verluste schwerer zu gewichten als gleichwertige Gewinne («losses loom larger than gains»). Die Verlustaversion wurde im Verlauf auch insbesondere im Bereich des Wertschriftenhandels und dem Anlegerverhalten untersucht. Der psychologische Effekt der Verlustaversion, der sich aus der Prospect Theory ableitet, besagt, dass viele Anleger dazu neigen, Verluste zu vermeiden, selbst wenn grössere Gewinne möglich wären. Dies kann dazu führen, dass Anlagen zu früh verkauft werden, weil die Angst vor möglichen Verlusten überwiegt. Dadurch entgehen ihnen möglich Gewinne, die durch das Eingehen von mehr Risiko hätten realisiert werden können.


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In Veränderungsprozessen bedeutet das: Auch wenn eine Veränderung objektiv betrachtet Vorteile bietet, können Mitarbeitende sich trotzdem dagegen sträuben, weil sie potenzielle Verluste stärker empfinden als die möglichen Gewinne. Zum Beispiel bedeutet ein neues System oder eine neue Arbeitsweise nicht nur Chancen, sondern beispielsweise auch das Verlassen der Komfortzone sowie das Aufgeben gewohnter Arbeitsmuster, was wiederum zu Unsicherheit im Arbeitsalltag führt.


Diese Verlustaversion zeigt sich oft durch Widerstand, auch wenn die Veränderung offensichtlich Verbesserungen mit sich bringt. In meinem Team entwickelte sich aus meiner Sicht genau diese Dynamik. Alte Prozesse, die von vielen als ineffizient betrachtet wurden, wurden plötzlich als besser wahrgenommen als die neuen Lösungen, die wir einführten. Und obwohl einige Mitarbeitende vorher fast täglich mehr Personalressourcen gefordert hatten, gab es auf einmal Bedenken, ob die Integration neuer Kollegen wirklich notwendig sei.

 

Wie Führungskräfte die Erkenntnisse der Prospect Theorie im Change nutzen können


Eine Studie von 2018 zeigt in Zusammenhang mit der Verlustaversion auf, dass Führungskräfte eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie erfolgreich ein Wandel innerhalb der Organisation umgesetzt wird. Führungskräfte sind dafür verantwortlich, Unsicherheiten abzubauen und die Wahrnehmung der Mitarbeitenden von den Risiken des Wandels zu beeinflussen. Dies kann durch offene Kommunikation, Beteiligung der Mitarbeitenden und das Schaffen eines sicheren Umfelds erreicht werden, in dem Mitarbeitende das Gefühl haben, dass ihre Bedenken gehört und berücksichtigt werden.


Um den Wandel erfolgreich zu gestalten, sollten Führungskräfte sich der Verlustaversion ihrer Mitarbeitenden bewusst sein und versuchen, den Referenzpunkt – also den Status quo – zugunsten der Veränderung zu verschieben. Durch das Hervorheben der positiven Aspekte der Veränderung und das Minimieren der wahrgenommenen Verluste kann die Führungskraft dazu beitragen, den Widerstand zu verringern. Ein zentraler Aspekt dabei ist, dass Führungskräfte den Mitarbeitenden zeigen, dass die potenziellen Gewinne der Veränderung die wahrgenommenen Verluste überwiegen und dass sie langfristig von den neuen Strukturen und Prozessen profitieren werden. Zusätzlich hilft es, den Wandel in kleinere, überschaubare Schritte zu unterteilen, um den Mitarbeitenden das Gefühl von Kontrolle zu geben und die Angst vor großen, abrupten Veränderungen zu mindern. Durch eine effektive Kommunikation und die Schaffung von psychologischer Sicherheit können Führungskräfte somit die Widerstände, die durch die Verlustaversion entstehen, reduzieren und den Wandel erfolgreich umsetzen. In der Studie wird zudem betont, dass ‹Transformational Leadership› besonders effektiv ist, um den psychologischen Widerstand zu durchbrechen. Führungskräfte mit einem transformationalen Führungsstil unterstützen ihre Mitarbeitenden durch Empathie und Vertrauen, klare Zielsetzungen und inspirierende Visionen, was wiederum die Akzeptanz von Veränderungen erhöht

 

Das Bridges Transition Modell – Die Herausforderungen in der ‹neutralen Zone›


Im Gegensatz zur Prospect Theory, die sich stark auf die psychologischen Prozesse der Entscheidung unter Unsicherheit konzentriert, bietet das Bridges Transition Modell einen strukturierten Ansatz zur Bewältigung von Veränderungsprozessen. William Bridges, der Entwickler des Modells betont, dass Veränderung und Übergang nicht dasselbe sind. Veränderung ist ein äusserer, sichtbarer Prozess, wie zum Beispiel die Einführung neuer Technologien oder die Umstrukturierung von Abteilungen. Übergang hingegen ist der innere, emotionale und psychologische Prozess, den die betroffenen Personen durchlaufen, wenn sie sich mit der Veränderung auseinandersetzen.

 

Das Modell gliedert den Übergang in drei Phasen:

 

1. Ende, Verlust und Loslassen: In dieser Phase müssen Mitarbeitende alte Gewohnheiten und Strukturen loslassen. Dies fällt oft schwer, weil es mit dem Gefühl eines Verlusts verbunden ist. In meinem Team gab es genau diesen Widerstand, als Mitarbeitende ihre eingespielten Arbeitsprozesse aufgeben mussten.

 

2. Neutrale Zone: Dies ist die Zwischenphase, in der das Alte nicht mehr existiert, das Neue aber noch nicht vollständig etabliert ist. Es herrscht Unsicherheit, und die Mitarbeitenden fühlen sich oft desorientiert. Diese Phase gilt als besonders kritisch, da den Betroffenen häufig die Orientierung fehlt und sie anfällig für negative Emotionen sind, die die Unsicherheit noch verstärken und eine negative Teamdynamik auslösen können. In dieser Phase war es für mich besonders herausfordernd, das Team zusammenzuhalten und die nötige Motivation bei allen Beteiligten aufrechtzuerhalten.

 

3. Neuanfang: Am Ende des Übergangs erkennen die Mitarbeitenden schrittweise die Vorteile der Veränderung und beginnen, sich mit den neuen Prozessen oder Strukturen zu identifizieren. Glücklicherweise erreichten wir diesen Punkt noch als ‹intaktes› Team, und wir konnten uns nach der turbulenten Phase wieder stabilisieren.


Es fällt auf, dass eine gewisse Ähnlichkeit zur ‹Change Kurve› von Richard K. Streich besteht, welche wiederum auf der Trauerkurve von Elisabeth Kübler-Ross (1960er Jahre) basiert. In der Mitte muss eine Art ‹Tiefpunkt› durchlaufen werden, was wir in der Change Kurve als das ‹Tal der Tränen› kennen.

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Wie Führungskräfte die Erkenntnisse aus dem Bridges Transition Modell im Change nutzen können

 

Es gibt einige Erfolgsgeschichten von Unternehmen, die ihre Veränderungsprozesse auf dem Bridges Transition Modell aufbauten und so dem psychologischen und emotionalen Aspekt im Change Management die erforderliche Beachtung schenkten. Eines dieser Unternehmen ist Atlassian, eine Australisch-Amerikanische Softwarefirma, die in der Vergangenheit verschiedene disruptive und tiefgreifende Veränderungen durchmachte.


In verschiedenen Studien wurde belegt, dass Unternehmen, die ihre Führungskräfte speziell in der Anwendung des Bridges Transition Modells schulten, signifikant höhere Erfolgsraten bei der Einführung neuer Technologien oder grösseren Change Projekten hatten. Besonders entscheidend war jeweils die klare Unterscheidung der Phasen des Übergangs: das Ende alter Prozesse, die neutrale Zone, in der Unsicherheit herrscht, und der Neuanfang, in dem neue Technologien eingeführt oder Veränderungen wirksam werden. Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden während der neutralen Zone gezielt und vor allem emotional unterstützten, konnten die Veränderungen besser bewältigen.

 

Mein Fazit


Was bedeuten diese Erkenntnisse für mich als Führungskraft in Veränderungsprozessen? Das wichtigste ist aus meiner Sicht das Verständnis, dass Veränderungen nie nur auf der oberflächlichen, organisatorischen Ebene stattfinden. Veränderungen betreffen insbesondere auch die psychologischen und affektiven Prozesse der Mitarbeitenden. Verlustaversion und emotionale Übergänge müssen bewusst adressiert werden. Hier können die beiden vorgestellten Modelle eine Hilfestellung sein: Die Prospect Theory zeigt, warum Menschen sich gegen Veränderungen wehren, selbst wenn diese Vorteile bringen. Das Bridges Transition Modell hilft dabei, den emotionalen Prozess während des Übergangs von ‹alt› nach ‹neu› besser zu verstehen und die Mitarbeitenden durch die einzelnen Phasen zu begleiten. In der Veränderung zählt nicht nur die Zukunft und der Blick nach vorn. Viele Mitarbeitende hängen noch an der Vergangenheit und brauchen Unterstützung, um durch die neutrale Zone zu gelangen.


Rückblickend hätte ich damals einiges anders machen können. Auch wenn aus der eigenen Perspektive die Vorteile und Chancen einer Veränderung klar überwiegen, können Widerstände entstehen, welche nicht unbedingt als Ablehnung gegen die Veränderungen interpretiert werden sollten, sondern als Ausdruck von Unsicherheit und Verlustängsten. Darauf sollte man immer vorbereitet sein. Auch dann, wenn die Veränderung aus eigener Sicht grundsätzlich positiv oder gar trivial erscheint. Beide Modelle, die Prospect Theory und das Bridges Transition Modell, können in einer solchen Phase der Veränderung helfen, die psychologischen und emotionalen Prozesse im Team besser zu verstehen. Das Wissen kann zudem dabei helfen, im Gespräch die ‹richtigen› Fragen zu stellen, um dem Widerstand auf den Grund zu gehen.


Veränderung ist nie einfach, doch mit dem richtigen Verständnis und den richtigen Werkzeugen lässt sich der Übergangsprozess für alle Beteiligten erleichtern. In diesem Zusammenhang spielt die jeweilige Teamdynamik ebenfalls eine grosse Rolle. Es ist wichtig, das Ziel gemeinsam vor Augen zu haben und auch gemeinsam zu erreichen. Die positive Energie jener Mitarbeitenden, die weniger Verlustängste haben oder der Veränderung offener gegenüberstehen, kann und soll aktiv genutzt werden, um die anderen Kolleginnen und Kollegen zusätzlich begleiten und unterstützen. Die jeweilige Führungskraft muss diese Balance orchestrieren und darum besorgt sein, dass im Team nicht zusätzliche ‹Gräben› entstehen.


In der heutigen Zeit ist der ‹stetige Wandel› Realität. Doch nicht nur das, auch die Dynamik und das Ausmass des Wandels nimmt laufend zu. Und es liegt an uns Führungskräften, diese Veränderung nicht nur rational, sondern auch empathisch und aus der Sicht der Mitarbeitenden und ihren Emotionen zu gestalten.



Quellen:


 
 
 

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