Was Change Management mit dem Wertschriftenhandel zu tun hat đ
- Many S. Hertach
- 16. Okt. 2024
- 8 Min. Lesezeit
Zu Beginn meiner FĂŒhrungslaufbahn stand ich als junger Abteilungsleiter vor einer grösseren Umstrukturierung. Sowohl mein damaliges Team als auch das gesamte Unternehmen befanden sich im Umbruch. FĂŒr mein Team und unsere Abteilung waren die Aussichten auf die VerĂ€nderungen ausserordentlich gut. Es kristallisierten sich viele Chancen heraus, wir konnten als Team etliche Prozesse mitgestalten und wir bekamen neue Stellen gesprochen. Viele Teammitglieder warteten schon lange auf eine solche VerĂ€nderung. Mir war klar, dass VerĂ€nderungen zu Widerstand fĂŒhren können. In diesem Falle war ich jedoch guten Mutes, denn wir hatten eine sehr turbulente Zeit hinter uns und es konnte eigentlich nur besser werden. So ging ich mehr oder weniger davon aus, dass die bevorstehenden VerĂ€nderungen ohne grosse WiderstĂ€nde umzusetzen sind. Das dachte ich zumindest und es kam dann natĂŒrlich auch etwas anders als ich dachte. Es gab WiderstĂ€nde, und zwar ziemlich grosse. UmstĂ€nde, die man in der Vergangenheit bekĂ€mpfte, wollte man plötzlich so beibehalten. Alte Prozesse, ĂŒber die man sich tĂ€glich beschwerte, sollten plötzlich besser sein als die neuen (ganz offensichtlich) viel sinnvolleren Prozesse. Und es gab sogar Stimmen, dass man doch eigentlich eine gute Teamgrösse hĂ€tte und keine neuen Kollegen brĂ€uchte, obwohl zuvor fast tĂ€glich nach mehr Personalressourcen verlangt wurde. Nicht alle Teammitglieder wehrten sich gegen die VerĂ€nderung. Es gab eine Gruppe, die voll mitzog und es gab die andere Gruppe, die in den alten Strukturen gefangen schien. Auch in den vielen GesprĂ€chen fand ich nicht so wirklich raus, warum sich einige Mitarbeitende gegen die VerĂ€nderung strĂ€ubten.
Die Zeit verging, die geplanten Projekte nahmen ihren Lauf und die VerĂ€nderungen wurden umgesetzt. WĂ€hrend dieser Phase war es alles andere als leicht, das Team zusammenzuhalten und die neuen Prozesse und Strukturen auch nachhaltig zu implementieren. Kurz gesagt, es war richtig anstrengend in dieser Zeit. Ich war froh um jene Teammitglieder, die den Change aktiv mittrugen und mich unterstĂŒtzten. Und ich fĂŒhlte mich im etwas Stich gelassen durch jene Mitarbeitende, die sich immer wieder strĂ€ubten und sich gegen die VerĂ€nderungen wehrten. Seltsamerweise bestand die letztere Gruppe nicht mal unbedingt aus den Personen, bei denen ich Widerstand erwartet hĂ€tte. Und umgekehrt war ich positiv ĂŒberrascht ĂŒber die Offenheit und VerĂ€nderungsbereitschaft von Teammitgliedern, die ich ganz anders eingeschĂ€tzt hatte. GlĂŒcklicherweise fand das Team nach dem grossen Change auch wieder gut zusammen und es entstand kein Graben zwischen den Teammitgliedern. Aber das Ganze liess mich nicht los und ich wollte herausfinden, was ich anders hĂ€tte machen können, um den VerĂ€nderungsprozess etwas âčgeschmeidigerâș zu gestalten.
Ich ging diesem Sachverhalt nach und stiess auf zwei Modelle, die meine Sichtweise auf VerĂ€nderungsprozesse massgeblich und nachhaltig beeinflussten. Die Rede ist von der Prospect Theory (Verlustaversion) und dem Bridges Transition Modell. Die beiden Modelle halfen mir dabei, das Verhalten meiner damaligen Mitarbeitenden besser zu verstehen. Und auch in weiteren Change Projekten griff ich immer wieder auf diese Erkenntnisse zurĂŒck. Es gibt viele Ursachen fĂŒr WiderstĂ€nde in VerĂ€nderungsprozessen. Die beiden Modelle decken natĂŒrlich nicht die ganze Bandbreite des Change Managements ab. Sie beinhalten aber einige wichtige Aspekte, die bei jeder VerĂ€nderung zu beachten sind und an denen man das eigene FĂŒhrungsverhalten im Change ausrichten sollte. Die beiden Modelle haben zwar viele Gemeinsamkeiten, sind aber auf unterschiedliche AnsĂ€tze zurĂŒckzufĂŒhren. WĂ€hrend das eine Modell die Ăngste erklĂ€rt, die beim Loslassen des âčAltenâș entstehen können, beschreibt das andere Modell die Herausforderungen beim Ăbergang vom âčAltenâș ins âčNeueâș.
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Die Prospect Theory - Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach
Die Prospect Theory wurde von den NobelpreistrĂ€gern Daniel Kahneman und Amos Tversky entwickelt und 1979 vorgestellt. Sie beschreibt die Art und Weise, wie Menschen Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Eine ihrer Kernideen ist die Verlustaversion â die Tendenz, Verluste schwerer zu gewichten als gleichwertige Gewinne («losses loom larger than gains»). Die Verlustaversion wurde im Verlauf auch insbesondere im Bereich des Wertschriftenhandels und dem Anlegerverhalten untersucht. Der psychologische Effekt der Verlustaversion, der sich aus der Prospect Theory ableitet, besagt, dass viele Anleger dazu neigen, Verluste zu vermeiden, selbst wenn grössere Gewinne möglich wĂ€ren. Dies kann dazu fĂŒhren, dass Anlagen zu frĂŒh verkauft werden, weil die Angst vor möglichen Verlusten ĂŒberwiegt. Dadurch entgehen ihnen möglich Gewinne, die durch das Eingehen von mehr Risiko hĂ€tten realisiert werden können.
In VerĂ€nderungsprozessen bedeutet das: Auch wenn eine VerĂ€nderung objektiv betrachtet Vorteile bietet, können Mitarbeitende sich trotzdem dagegen strĂ€uben, weil sie potenzielle Verluste stĂ€rker empfinden als die möglichen Gewinne. Zum Beispiel bedeutet ein neues System oder eine neue Arbeitsweise nicht nur Chancen, sondern beispielsweise auch das Verlassen der Komfortzone sowie das Aufgeben gewohnter Arbeitsmuster, was wiederum zu Unsicherheit im Arbeitsalltag fĂŒhrt.
Diese Verlustaversion zeigt sich oft durch Widerstand, auch wenn die VerĂ€nderung offensichtlich Verbesserungen mit sich bringt. In meinem Team entwickelte sich aus meiner Sicht genau diese Dynamik. Alte Prozesse, die von vielen als ineffizient betrachtet wurden, wurden plötzlich als besser wahrgenommen als die neuen Lösungen, die wir einfĂŒhrten. Und obwohl einige Mitarbeitende vorher fast tĂ€glich mehr Personalressourcen gefordert hatten, gab es auf einmal Bedenken, ob die Integration neuer Kollegen wirklich notwendig sei.
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Wie FĂŒhrungskrĂ€fte die Erkenntnisse der Prospect Theorie im Change nutzen können
Eine Studie von 2018 zeigt in Zusammenhang mit der Verlustaversion auf, dass FĂŒhrungskrĂ€fte eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie erfolgreich ein Wandel innerhalb der Organisation umgesetzt wird. FĂŒhrungskrĂ€fte sind dafĂŒr verantwortlich, Unsicherheiten abzubauen und die Wahrnehmung der Mitarbeitenden von den Risiken des Wandels zu beeinflussen. Dies kann durch offene Kommunikation, Beteiligung der Mitarbeitenden und das Schaffen eines sicheren Umfelds erreicht werden, in dem Mitarbeitende das GefĂŒhl haben, dass ihre Bedenken gehört und berĂŒcksichtigt werden.
Um den Wandel erfolgreich zu gestalten, sollten FĂŒhrungskrĂ€fte sich der Verlustaversion ihrer Mitarbeitenden bewusst sein und versuchen, den Referenzpunkt â also den Status quo â zugunsten der VerĂ€nderung zu verschieben. Durch das Hervorheben der positiven Aspekte der VerĂ€nderung und das Minimieren der wahrgenommenen Verluste kann die FĂŒhrungskraft dazu beitragen, den Widerstand zu verringern. Ein zentraler Aspekt dabei ist, dass FĂŒhrungskrĂ€fte den Mitarbeitenden zeigen, dass die potenziellen Gewinne der VerĂ€nderung die wahrgenommenen Verluste ĂŒberwiegen und dass sie langfristig von den neuen Strukturen und Prozessen profitieren werden. ZusĂ€tzlich hilft es, den Wandel in kleinere, ĂŒberschaubare Schritte zu unterteilen, um den Mitarbeitenden das GefĂŒhl von Kontrolle zu geben und die Angst vor groĂen, abrupten VerĂ€nderungen zu mindern. Durch eine effektive Kommunikation und die Schaffung von psychologischer Sicherheit können FĂŒhrungskrĂ€fte somit die WiderstĂ€nde, die durch die Verlustaversion entstehen, reduzieren und den Wandel erfolgreich umsetzen. In der Studie wird zudem betont, dass âčTransformational Leadershipâș besonders effektiv ist, um den psychologischen Widerstand zu durchbrechen. FĂŒhrungskrĂ€fte mit einem transformationalen FĂŒhrungsstil unterstĂŒtzen ihre Mitarbeitenden durch Empathie und Vertrauen, klare Zielsetzungen und inspirierende Visionen, was wiederum die Akzeptanz von VerĂ€nderungen erhöht
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Das Bridges Transition Modell â Die Herausforderungen in der âčneutralen Zoneâș
Im Gegensatz zur Prospect Theory, die sich stark auf die psychologischen Prozesse der Entscheidung unter Unsicherheit konzentriert, bietet das Bridges Transition Modell einen strukturierten Ansatz zur BewĂ€ltigung von VerĂ€nderungsprozessen. William Bridges, der Entwickler des Modells betont, dass VerĂ€nderung und Ăbergang nicht dasselbe sind. VerĂ€nderung ist ein Ă€usserer, sichtbarer Prozess, wie zum Beispiel die EinfĂŒhrung neuer Technologien oder die Umstrukturierung von Abteilungen. Ăbergang hingegen ist der innere, emotionale und psychologische Prozess, den die betroffenen Personen durchlaufen, wenn sie sich mit der VerĂ€nderung auseinandersetzen.
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Das Modell gliedert den Ăbergang in drei Phasen:
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1. Ende, Verlust und Loslassen: In dieser Phase mĂŒssen Mitarbeitende alte Gewohnheiten und Strukturen loslassen. Dies fĂ€llt oft schwer, weil es mit dem GefĂŒhl eines Verlusts verbunden ist. In meinem Team gab es genau diesen Widerstand, als Mitarbeitende ihre eingespielten Arbeitsprozesse aufgeben mussten.
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2. Neutrale Zone: Dies ist die Zwischenphase, in der das Alte nicht mehr existiert, das Neue aber noch nicht vollstĂ€ndig etabliert ist. Es herrscht Unsicherheit, und die Mitarbeitenden fĂŒhlen sich oft desorientiert. Diese Phase gilt als besonders kritisch, da den Betroffenen hĂ€ufig die Orientierung fehlt und sie anfĂ€llig fĂŒr negative Emotionen sind, die die Unsicherheit noch verstĂ€rken und eine negative Teamdynamik auslösen können. In dieser Phase war es fĂŒr mich besonders herausfordernd, das Team zusammenzuhalten und die nötige Motivation bei allen Beteiligten aufrechtzuerhalten.
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3. Neuanfang: Am Ende des Ăbergangs erkennen die Mitarbeitenden schrittweise die Vorteile der VerĂ€nderung und beginnen, sich mit den neuen Prozessen oder Strukturen zu identifizieren. GlĂŒcklicherweise erreichten wir diesen Punkt noch als âčintaktesâș Team, und wir konnten uns nach der turbulenten Phase wieder stabilisieren.
Es fĂ€llt auf, dass eine gewisse Ăhnlichkeit zur âčChange Kurveâș von Richard K. Streich besteht, welche wiederum auf der Trauerkurve von Elisabeth KĂŒbler-Ross (1960er Jahre) basiert. In der Mitte muss eine Art âčTiefpunktâș durchlaufen werden, was wir in der Change Kurve als das âčTal der TrĂ€nenâș kennen.

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Wie FĂŒhrungskrĂ€fte die Erkenntnisse aus dem Bridges Transition Modell im Change nutzen können
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Es gibt einige Erfolgsgeschichten von Unternehmen, die ihre VerÀnderungsprozesse auf dem Bridges Transition Modell aufbauten und so dem psychologischen und emotionalen Aspekt im Change Management die erforderliche Beachtung schenkten. Eines dieser Unternehmen ist Atlassian, eine Australisch-Amerikanische Softwarefirma, die in der Vergangenheit verschiedene disruptive und tiefgreifende VerÀnderungen durchmachte.
In verschiedenen Studien wurde belegt, dass Unternehmen, die ihre FĂŒhrungskrĂ€fte speziell in der Anwendung des Bridges Transition Modells schulten, signifikant höhere Erfolgsraten bei der EinfĂŒhrung neuer Technologien oder grösseren Change Projekten hatten. Besonders entscheidend war jeweils die klare Unterscheidung der Phasen des Ăbergangs: das Ende alter Prozesse, die neutrale Zone, in der Unsicherheit herrscht, und der Neuanfang, in dem neue Technologien eingefĂŒhrt oder VerĂ€nderungen wirksam werden. Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden wĂ€hrend der neutralen Zone gezielt und vor allem emotional unterstĂŒtzten, konnten die VerĂ€nderungen besser bewĂ€ltigen.
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Mein Fazit
Was bedeuten diese Erkenntnisse fĂŒr mich als FĂŒhrungskraft in VerĂ€nderungsprozessen? Das wichtigste ist aus meiner Sicht das VerstĂ€ndnis, dass VerĂ€nderungen nie nur auf der oberflĂ€chlichen, organisatorischen Ebene stattfinden. VerĂ€nderungen betreffen insbesondere auch die psychologischen und affektiven Prozesse der Mitarbeitenden. Verlustaversion und emotionale ĂbergĂ€nge mĂŒssen bewusst adressiert werden. Hier können die beiden vorgestellten Modelle eine Hilfestellung sein: Die Prospect Theory zeigt, warum Menschen sich gegen VerĂ€nderungen wehren, selbst wenn diese Vorteile bringen. Das Bridges Transition Modell hilft dabei, den emotionalen Prozess wĂ€hrend des Ăbergangs von âčaltâș nach âčneuâș besser zu verstehen und die Mitarbeitenden durch die einzelnen Phasen zu begleiten. In der VerĂ€nderung zĂ€hlt nicht nur die Zukunft und der Blick nach vorn. Viele Mitarbeitende hĂ€ngen noch an der Vergangenheit und brauchen UnterstĂŒtzung, um durch die neutrale Zone zu gelangen.
RĂŒckblickend hĂ€tte ich damals einiges anders machen können. Auch wenn aus der eigenen Perspektive die Vorteile und Chancen einer VerĂ€nderung klar ĂŒberwiegen, können WiderstĂ€nde entstehen, welche nicht unbedingt als Ablehnung gegen die VerĂ€nderungen interpretiert werden sollten, sondern als Ausdruck von Unsicherheit und VerlustĂ€ngsten. Darauf sollte man immer vorbereitet sein. Auch dann, wenn die VerĂ€nderung aus eigener Sicht grundsĂ€tzlich positiv oder gar trivial erscheint. Beide Modelle, die Prospect Theory und das Bridges Transition Modell, können in einer solchen Phase der VerĂ€nderung helfen, die psychologischen und emotionalen Prozesse im Team besser zu verstehen. Das Wissen kann zudem dabei helfen, im GesprĂ€ch die âčrichtigenâș Fragen zu stellen, um dem Widerstand auf den Grund zu gehen.
VerĂ€nderung ist nie einfach, doch mit dem richtigen VerstĂ€ndnis und den richtigen Werkzeugen lĂ€sst sich der Ăbergangsprozess fĂŒr alle Beteiligten erleichtern. In diesem Zusammenhang spielt die jeweilige Teamdynamik ebenfalls eine grosse Rolle. Es ist wichtig, das Ziel gemeinsam vor Augen zu haben und auch gemeinsam zu erreichen. Die positive Energie jener Mitarbeitenden, die weniger VerlustĂ€ngste haben oder der VerĂ€nderung offener gegenĂŒberstehen, kann und soll aktiv genutzt werden, um die anderen Kolleginnen und Kollegen zusĂ€tzlich begleiten und unterstĂŒtzen. Die jeweilige FĂŒhrungskraft muss diese Balance orchestrieren und darum besorgt sein, dass im Team nicht zusĂ€tzliche âčGrĂ€benâș entstehen.
In der heutigen Zeit ist der âčstetige Wandelâș RealitĂ€t. Doch nicht nur das, auch die Dynamik und das Ausmass des Wandels nimmt laufend zu. Und es liegt an uns FĂŒhrungskrĂ€ften, diese VerĂ€nderung nicht nur rational, sondern auch empathisch und aus der Sicht der Mitarbeitenden und ihren Emotionen zu gestalten.
Quellen:
Ansari, S. (2024). Prospect Theory. Economics Online (Publiziert am 09.02.2024): https://www.economicsonline.co.uk/definitions/prospect-theory.html/
Barberis, N.C. (2012). Thirty Years of Prospect Theory in Economics: a Review and Assessment. NBER Working Paper Series (Publiziert im Dezember 2012): https://www.nber.org/system/files/working_papers/w18621/w18621.pdf
Evans, G. & Evans, M. (2018). Understanding Resistance to Change as Loss Aversion and Prospect Theory: https://www.jbepnet.com/journals/Vol_5_No_1_March_2018/1.pdf
Frey, H. (2014). Die Prospekttheorie. Finanz und Wirtschaft (Publiziert am 25.11.2014): https://www.fuw.ch/article/die-prospekttheorie-2
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