Das innere Team - Eine Reise in unsere innere Vielfalt 😇👹
- Many S. Hertach
- 3. Jan.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Feb.
Du hast bestimmt auch schon mal eine schwierige Entscheidung treffen müssen und das Gefühl gehabt, dass in Dir unterschiedliche Stimmen miteinander diskutieren? Möglicherweise ist Dir die Metapher vom Teufelchen und dem Engelchen auf Deinen Schultern bekannt? Ebenso baut die Entscheidungsanalogie von ‹Kopf, Herz und Bauch› oder die Überwindung des ‹inneren Schweinhunds› auf diesem Prinzip auf. Dieser innere Dialog beschreibt de facto das Modell des ‹inneren Teams›, das der deutsche Kommunikationsexperte und Psychologe Friedemann Schulz von Thun entwickelt hat.
Das Modell zeigt, dass wir Menschen unterschiedliche innere Impulse haben und dadurch aus einer Vielzahl von inneren Stimmen bestehen. Keine Sorge...das alles hat nichts mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung oder ähnlichem zu tun. Diese Stimmen – oder auch inneren Anteile genannt – sind völlig normal. Sie prägen unser Denken, Fühlen und vor allem unser Handeln resp. unsere Entscheidungen. Das innere Team ist eine wertvolle Ressource, die aber auch zur Belastung werden kann, wenn die unterschiedlichen Teammitglieder nicht harmonisch zusammenarbeiten und es zu innerer Zerrissenheit und Konflikten kommt.

Was ist das ‹innere Team›?
Das innere Team beschreibt die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile, die in uns wirken. Diese Anteile sind Ausdruck unserer Erfahrungen, Werte und Prägungen. Sie treten in verschiedenen Lebenssituationen auf. Manchmal im Einklang, manchmal im Streit. Häufig findet das alles in unserem Unterbewusstsein statt.
Die Mitglieder des inneren Teams können alles mögliche sein. Zum Beispiel ‹die Wagemutige›, ‹der Ängstliche›, ‹das innere Kind›, ‹die Vernünftige›, ‹der Ehrgeizige›, ‹die Barmherzige›, ‹der Sparsame›, usw. Die Rollen variieren in der Regel auch situationsabhängig. Häufig gibt es allerdings die sogenannten ‹Stammspieler›, also diejenigen Teammitglieder, die meistens sehr präsent und laut sind und häufig einen grossen Teil des ‹inneren Raums› einnehmen. Demgegenüber stehen die ‹Aussenseiter› oder die ‹Spätmelder›, die eher im Hintergrund und etwas leiser sind. Doch auch diese Stimmen sollten ein entsprechendes Gehör bekommen, genau darum geht es bei der Arbeit mit dem inneren Team.
Ein Beispiel: Stell Dir vor, Du planst eine Präsentation vor einem grossen Publikum zu halten. Eine Stimme in Dir, der Perfektionist, sagt: «Du musst jede Folie perfekt gestalten, sonst wirst Du nicht ernst genommen!» Gleichzeitig meldet sich möglicherweise der Zweifler: «Was, wenn Du Dich blamierst?» Dann ist da vielleicht noch der Bequeme, der sagt: «Investier bloss nicht zu viel Zeit dafür, am Wochenende möchtest Du ja entspannen und nicht arbeiten!» Doch der Mutmacher ermutigt Dich dann wieder: «Du hast das schon so oft gemacht und konntest das Publikum jedesmal überzeugen. Du schaffst das auch diesmal!»
Diese inneren Stimmen repräsentieren unterschiedliche Perspektiven, Interessen oder Bedenken, die manchmal im Konflikt zueinander stehen. Das Ziel der Arbeit mit dem inneren Team ist es, diesen Stimmen Raum zu geben, sie zu hören und schliesslich in eine sinnvolle, produktive und konstruktive Zusammenarbeit zu führen. Wenn zum Beispiel der ‹Mutmacher› zu leise ist oder gar nicht gehört wird, kann es sein, dass Du wegen dem ‹Zweifler› oder dem ‹Bequemen› eine tolle Chance vergibst.
Warum ist das innere Team so wichtig?
Unsere innere Welt hat einen direkten Einfluss auf unsere äusseren Entscheidungen und unser Verhalten. Häufig versuchen wir, störende oder unangenehme Stimmen in uns zu ignorieren oder zu unterdrücken. Das bewusste Wahrnehmen und Ordnen der inneren Anteile kann hingegen dabei helfen:
Klarheit in schwierigen (Entscheidungs-)Situationen zu gewinnen,
sich selbst zu reflektieren und innere Konflikte zu lösen,
stärker im Einklang mit den eigenen Werten zu handeln,
Authentizität zu vermitteln und klar zu kommunizieren,
Resilienz und emotionale Stabilität zu fördern.
Das Modell ist daher nicht nur für den persönlichen Alltag hilfreich, sondern auch ein wertvolles Instrument in der Führung, im Coaching oder in der Therapie. Das Modell eignet sich auch hervorragend für die Neuro-Systemische Aufstellungsarbeit.
Einige Praxisbeispiele für die Arbeit mit dem inneren Team
Folgend beschreibe ich Dir ein paar Praxisbeispiele, wie das innere Team in beruflichen Situationen wirken könnte und welchen Nutzen Du daraus generieren kannst.
Ein Projektmanager steht vor der Entscheidung, ob er ein riskantes Projekt übernehmen soll. Sein inneres Team umfasst den ‹Abenteuer› (will das Risiko eingehen), den ‹Sicherheitsbeauftragten› (warnt vor möglichen Gefahren), und den ‹Erfahrenen Berater› (ruft zur gründlichen Analyse auf). Indem der Projektmanager die Perspektiven dieser Anteile bewusst aufstellt und dialogisch abwägt, kann er den Entscheidungsstress reduzieren und ein klares Verständnis der eigenen Beweggründe erlangen.
Eine Lehrerin fühlt sich unsicher, ob sie innovative Unterrichtselemente einführen soll. Ihr inneres Team enthält die ‹Kritikerin› (zweifelt an der Akzeptanz der Schüler), die ‹Idealistin› (möchte sich didaktisch entfalten und die Methode unbedingt ausprobieren), und die ‹Pragmatikerin› (sucht praktische Lösungen). Durch einen inneren Dialog kann die Lehrerin ihre Ängste anerkennen, eine pragmatische Lösung finden und gleichzeitig ihren Idealismus beibehalten.
Ein Teamleiter fühlt sich überfordert von widersprüchlichen Erwartungen seiner Mitarbeitenden. Sein inneres Team besteht aus dem ‹Perfektionisten› (setzt sich unter Druck ein möglichst guter Teamleiter zu sein), dem ‹Gesundheitsmanager› (spürt die Überbelastung und fordert Pausen ein), und dem ‹Diplomaten› (möchte Harmonie schaffen und es allen recht machen). Durch innere Klärung priorisiert der Teamleiter realistische Ziele, kann diese gegenüber den Mitarbeitenden nachvollziehbar und klar kommunizieren und integriert Erholungsphasen in seinen Alltag.
Eine Vertriebsmitarbeiterin merkt, dass sie oft emotional auf Kritik reagiert. Ihr inneres Team umfasst die ‹Verteidigerin› (fühlt sich angegriffen), die ‹Vernünftige Stimme› (möchte rationale Diskussionen führen), und den ‹Schwachen Anteil› (fühlt sich unsicher). Durch innere Reflexion trainiert die Vertriebsmitarbeiterin, konstruktiv auf Kritik einzugehen und ihr Selbstbewusstsein zu stärken, wodurch sie ihre Kommunikationskompetenz und die Kundenbeziehungen verbessern kann.
Selbstkomplexität und Resilienz
Patricia W. Linville führte 1987 Studien zur Selbstkomplexität durch. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das die Vielfalt der Selbstwahrnehmung einer Person beschreibt. Menschen mit hoher Selbstkomplexität verfügen über zahlreiche, voneinander unabhängige Selbstaspekte, wie verschiedene soziale Rollen, Eigenschaften oder Aktivitäten. Diese Vielfalt ermöglicht es ihnen, Stress besser zu bewältigen, da negative Erfahrungen in einem Bereich durch positive Aspekte in anderen Bereichen ausgeglichen werden können.
Das Modell des inneren Teams von Schulz von Thun ergänzt dieses Konzept, indem es die inneren Stimmen oder Anteile einer Person darstellt, die unterschiedliche Bedürfnisse und Werte repräsentieren. In Stresssituationen kann eine Person auf verschiedene Mitglieder ihres inneren Teams zurückgreifen, um emotionale Stabilität zu erlangen. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit diesen inneren Anteilen wird die Selbstführung gestärkt und die Fähigkeit verbessert, mit inneren Konflikten umzugehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine hohe Selbstkomplexität und das Verständnis des inneren Teams dazu beitragen, Stressresistenz und emotionale Stabilität zu fördern, indem sie es ermöglichen, auf verschiedene innere Ressourcen zurückzugreifen und flexibel auf Herausforderungen zu reagieren.
Schritte zur Arbeit mit deinem inneren Team
Du kannst Dein inneres Teams auf vielfältige Weise nutzen – sei es z.B. für persönliche Entscheidungsfindungen, Konfliktlösungen, Selbstreflexion der beruflichen Rolle oder die persönliche Entwicklung im Allgemeinen. Hier sind drei Schritte, die Dir dabei helfen können, mit deinem inneren Team zu arbeiten:
1. Erkenne Deine Teammitglieder
Nimm Dir eine aktuelle Herausforderung vor und frage Dich «Welche Stimmen höre ich in mir»?
Gibt es eine Stimme, die Dich antreibt?
Eine andere, die Dich warnt oder bremst?
Vielleicht auch eine, die Ruhe und Ausgeglichenheit hineinbringen will?
Schreibe diese Stimmen auf und gib ihnen Namen, wie zum Beispiel ‹der Kritiker›, ‹die Abenteurerin›, ‹der Zweifler›, ‹die Analystin› oder ‹der Mutmacher›.
2. Verstehe die Rollen Deiner Stimmen
Jede Stimme in Deinem inneren Team hat eine Funktion. ‹Der Kritiker› könnte Dich vor Übermut schützen, während ‹die Abenteurerin› Dich antreibt, Neues auszuprobieren. Selbst scheinbar unangenehme Stimmen, wie ‹der Zweifler› oder ‹der Pessimist›, haben oft eine wertvolle Botschaft. Überlege, welche Stimme in Deiner aktuellen Situation die Führung übernehmen sollte. Wann ist z.B. ‹der Kritiker› hilfreich, und wann solltest Du ihm etwas weniger Raum geben?
3. Führe dein Team in die Zusammenarbeit
Wie in einem echten Team braucht es eine Führung, damit die Mitglieder harmonieren. Schulz von Thun nennt diese Rolle ‹das Oberhaupt›. In Deinem inneren Team bist Du ‹das Oberhaupt›, respektive die Führungskraft. Du allein entscheidest, welche Stimme wann und wie stark gehört wird. Diese bewusste Moderation kann helfen, innere Konflikte zu lösen und klarer zu handeln. Eine Methode, die Du ausprobieren kannst, ist das Schreiben eines Dialogs zwischen Deinen inneren Stimmen. Lass sie nacheinander zu Wort kommen, ähnlich wie bei einer Teamsitzung. Oft wird dabei deutlich, was jede Stimme wirklich braucht und zum Ausdruck bringen möchte.
Bei schwierigen Entscheidungen: Notiere die Stimmen, die für oder gegen eine Option sprechen, und sortiere sie nach Priorität.
In Konfliktsituationen: Frage Dich, welche innere Stimme gerade dominiert und warum das so ist. Welche anderen Stimmen gibt es noch und welchen solltest Du vielleicht mehr Raum geben?
Zur Reflexion: Setze Dich regelmässig mit Deinem inneren Team auseinander, um Deine Werte und Ziele klarer zu erkennen.
Fazit: Harmonie durch innere Vielfalt
Das Modell des inneren Teams erinnert uns daran, dass wir nicht eindimensional denken und handeln. Unsere inneren Stimmen – egal ob laut oder leise, ermutigend oder kritisch – sind Teil unseres Selbst. Indem wir lernen, sie zu erkennen und in Einklang zu bringen, können wir klarer, bewusster und authentischer handeln und das auch nach aussen kommunizieren. Das innere Team muss allerdings wie jedes andere Team geführt werden. Du bist hier die Führungskraft, niemand anders!
Die Arbeit mit dem inneren Team erfordert keine speziellen Voraussetzungen und kann eine unglaublich wertvolle Ressource sein. Du kannst einfach loslegen und sie in Deinen Alltag integrieren, denn DEIN inneres Team ist ja bereits da und wartet auf Dich. Was wäre, wenn Du noch heute damit beginnst, Dein inneres Team zu erkunden? Du könntest überraschende Ressourcen entdecken – und vielleicht auch einen neuen Blick auf Dich selbst gewinnen.
In meinen Coachings wende ich das Prinzip regelmässig an und es ist immer wieder verblüffend, wie wirkungsvoll das sein kann.
Quellen:
Bedürftig, C. (2018). Systemisches Coaching im Leistungssport. Springer Fachmedien: Wiesbaden.
Köster, K. (2021). Inner Leadership - Selbstbewusst und authentisch führen. Springer Gabler: Berlin.
Lemper-Pychlau, M. (2015). Mehr erreichen - 36 Bausteine für Ihre Effektivität. Springer Gabler: Wiesbaden.
Linville, P. W. (1987). Self-complexity as a cognitive buffer against stress-related illness and depression. Journal of Personality and Social Psychology, 52(4), 663-676.
Comments